Die Entstehung und Geburt des Bildes "The Sanctuary"
- Mascha Seitz
- 2. Mai
- 6 Min. Lesezeit
Die Geburt eines Bildes ist wie die Geburt eines Lebewesens. Natürlich ist es kein Lebewesen im Sinne eines Menschen, Tieres oder einer Pflanze, und doch ist ein lebendiger Teil des Künstlers und Erschaffers in das Werk eingeflossen. Dieser Teil geht mit der Seele eines Menschen in Verbindung, noch bevor dieser es begreifen kann. Wenn man bedenkt, wieviele Menschen sich jedes Jahr in Museen um weltbekannte Werke tummeln, und sonst nicht viel mit Kunst am Hut haben, ist es faszinierend zu sehen wie fesselnd Kunstwerke sein können, denn sie verändern uns und wir spüren das genau.
In diesem Artikel möchte ich die Metapher von Schwangerschaft und Geburt für die Entstehung eines Bildes nutzen und davon berichten.

Empfängnis
Die Idee zu "The Sanctuary", sinnbildlich der Empfängnis, fand lange vor seiner tatsächlichen Entstehung statt. Im Jahr 2019 hatte ich während einer bewusstseinserweiternden Reise eine Vision. Ich erfuhr ein tiefes Verständnis und Mitgefühl für meine persönliche Existenz und die aller Menschen. Jeglicher Widerstand zu dem was in meinem Bewusstsein erschien, schmolz dahin und ich gab mich einfach nur dem Sein im Jetzt hin. Der süße Nektar purer Lebensfreude durchströmte mein Herz und das Erstaunlichste daran war, dass sogar all der Schmerz und die Traurigkeit meiner erlebten Vergangenheit darin mit eingewoben waren als integrierter Teil des Lebensprozesses, der ich selbst bin.

Es war eine Zeit in meinem Leben, in der ich mehr und mehr verinnerlichte dass alles was existiert, auf tiefster Ebene verbunden ist durch ein Netzwerk aus Bewusstseinsströmen. Und wenn ich mich in meinen Atem und in die Ruhe versenke, nehme ich das sehr deutlich wahr. So wie die Bäume im Wald miteinander sprechen, so spricht alles um uns herum miteinander und interagiert auf unsichtbaren Ebenen. Außerdem sah ich die Kreisläufe des Lebens, die sich in den Jahreszeiten zeigen, sowie Leben und Sterben, werden und vergehen, geben und nehmen. All das sah ich in mir als Gefühl, das sich zu einem visuellen Ausdruck verwob, der zu einer Zeichnung wurde in meinem Skizzenbuch. Die Form des Baumes erinnert an einen Pilz und an ein Gehirn. Beides steht für Vernetzung.
Schwanger gehen mit dem Bild
Ich wusste damals schon dass ich das Bild unbedingt einmal zu einem Gemälde machen möchte. Ich erinnere mich noch dass ich oftmals beim Durchblättern meiner Skizzenbücher über dieses Bild stolperte und mir immer wieder vornahm es zu malen, weil es mich nachhaltig tief bewegte. Aber es kam immer etwas dazwischen, es war noch nicht reif, ich ging fünf Jahre damit schwanger. Manchmal entscheidet sich auf einer unsichtbaren Ebene, dass meine eigene Reife und Bereitschaft mich einem Bild zu widmen, noch Zeit brauchte. Und das ist eine unendlich wertvolle Lehre der Muse, die mir die Bilder schenken. Geduld war noch nie meine Stärke. Das Widderchen in mir prescht immer volle Kraft voraus und will oft alles schnell und sofort. Aber wenn man ein lebendiges Bild erschaffen möchte, muss man eben manchmal warten, vertrauen und es reifen lassen. Eine wunderbare Fähigkeit, die ich sehr schätze.
Geburt und Wehen
Eine wunderbare Frau und hingebungsvolle Sammlerin meiner Werke sprach mich auf die Zeichnung an, die auf meiner Website zu sehen war. Sie sagte, dass es sie magisch anzog und beauftragte mich mit der Umsetzung als Gemälde.
Nun war es soweit. Ich durfte dieses Kind in die Welt bringen. Ich nahm mir die Zeit und baute die Leinwand selbst und wählte das Format 50 x 60 cm. Ein sehr harmonisches und angenehmes Format und es erschien mir genau richtig für das Motiv und die Zeit die ich dafür hatte. Ich male am liebsten mit der Mische-Technik, oder auch Schichtenmalerei, wie ich sie von Amanda Sage gelernt hatte. Acryl war das Medium meiner Wahl und ich begann mit der ersten Schicht – der Vorzeichnung.
In der Mischtechnik arbeitet man sich durch viele dünne Farblasur-Schichten und wechselt Titan-weiss und Farben ab, die sich dann auf der Leinwand mischen. Es ist für mich ein sehr genussvolles Malen, in dem ich jeden Pinselstrich voll auskoste. Auch wenn diese Methode sehr aufwendig ist und sehr lange dauert, ist gerade diese langwierige Arbeit für mich sehr befriedigend. Denn einerseits bin ich sehr ungeduldig, andererseits scheint für mich die Zeit manchmal langsamer zu vergehen, weshalb ich in kurzer Zeit viel schaffe. Daher wird das Feuer meines Schaffens-Dranges mit der Geduld der vielen Schichten ausgeglichen. Geduld beim Malen bedeutet Hingabe und diese Hingabe ist das, was in den Flow führt und wenn der Flow da ist, verschwindet die ganze restliche Welt und man wird eins mit seinem Werk.
Leider läuft es nicht jeden Tag so flowig ;) Es gab Momente, in denen ich an dem ganzen Vorhaben zweifelte, alles in Frage stellte und mich für eine Idiotin hielt mich auf dieses Bild eingelassen zu haben. "Denn vielleicht würde die Käuferin des Bildes am Ende letztlich bemerken, dass es eigentlich doch nicht so toll ist wie sie am Anfang dachte. Vielleicht würde sie zwar höflich etwas Nettes sagen und das Bild am Ende kaufen, aber womöglich würde sie es insgeheim bereuen." Solche Gedanken quälen mich bei jedem Bild, bei jedem Auftrag. Versagensangst ist täglicher Bestandteil meiner künstlerischen Praxis und es gibt kein Rezept, das diese Gedanken hinfort jagen kann, außer: Einfach weiter machen, nur nicht aufhören.
Ich weiß nicht ob die Zweifel und Ängste irgendwann aufhören. Ich weiß nicht ob das wirklich für immer zum Künstlerdasein gehören muss. Aber ich weiß dass es nichts besser macht wenn ich mir davon die Kraft fürs Malen rauben lasse, daher sage ich mir dann einfach: "Es ist okay wenn andere nicht zufrieden sind. Dann ist es eben so, ich mache es trotzdem fertig." Und egal wie absurd mir dieser ganze Prozess im Nachhinein erscheint...solange ich mitten drin bin, hat es mich voll im Griff. Falls es anderen auch so geht, kann ich einfach nur empfehlen weiter zu machen und sich nicht von seinen inneren Widersachern verunsichern lassen.
Hindernisse und rote Ampeln
Es ist wie beim Autofahren. Wenn wir an einer roten Ampel ankommen, fangen wir ja nicht jedes Mal an uns darüber zu ärgern, unsicher die Gänge zu schalten um beim Anfahren dann abzuwürgen. Nach ausreichend Fahrstunden und Praxis ist es uns ins Blut übergegangen, wir bleiben einfach entspannt an der Ampel stehen, warten bis sie wieder grün ist und fahren dann gemächlich weiter.
Rote Ampeln sind Teil des Straßenverkehrs. Aber sie werden uns nicht für immer aufhalten ;) Die rote Ampel steht übrigens für jedes Hindernis in der Kreativität. Egal ob es um Fähigkeiten oder mentale Herausforderungen geht – wenn es uns vom Tun abhält, kommen wir nicht weiter. Und dann können wir den Prozess und den frischen Fahrtwind nicht genießen, weil wir uns auf die Schwierigkeiten konzentrieren. Autofahren ist gefährlich. Kreativität natürlich auch, sie kann dein Weltbild sprengen ;) Und es gehört Mut dazu sich jeden Tag ans Steuer zu setzen. Aber der Lohn ist die Tatsache dass du es getan hast und weiter gefahren bist und den nächsten Horizont erreichst und dann zutiefst über dich und die Welt staunst. :)
Die Wehen erreichen nun ihren Höhepunkt.
Die Wogen der Selbstkritik und der Zweifel, ob man es gut übersteht, münden in panische Schnappatmung und manche Gänge zur Leinwand sind qualvoll, aber dennoch immer wieder so aufregend. Neugier mischt sich mit dem unnachgiebig kritischen Blick. Doch es ist bald geschafft. Jetzt, nach diesem einen Blauton gibt es kein Zurück mehr. Ich werde diese Linien jetzt nicht noch zehn Mal übermalen! Und dann...
...dann kommt der Moment in dem man weiß, man hat es geschafft und es wird gut. Der Übergang zu einer inneren Gewissheit, die in Stärke mündet und in eine Liebe zum Detail übergeht. Man könnte auch sagen: Wir lernen uns immer besser kennen und das Bild leitet mich und sagt mir was es braucht.
Vielleicht erscheint das alles einem Außenstehenden befremdlich oder übertrieben. Ja! Es ist sehr intensiv und es bringt mich manchmal an den Rand der Verzweiflung und darüber hinaus bis zum persönlich empfundenen Wahnsinn. Jede neue Farbschicht ist ein gelebter Krimi und ich weiß nie was dabei heraus kommt, auch wenn ich es erahne. Ich habe diesen Prozess lieben gelernt und er gibt mir so viel zurück. Jedes Mal wundere ich mich über neu gewonnene Fähigkeiten und Perspektiven auf Farbe und Komposition. Ich bin wieder ein Stück gewachsen als Künstlerin und will schon die nächste Leinwand zur Hand nehmen.

Neu geboren
Es fiel mir nicht so leicht mich von diesem Bild zu trennen. Ich bat die Kundin noch um ein paar Tage Zeit damit, um es zu betrachten, Fotos zu machen und es einfach noch ein wenig im Raum zu fühlen. Da bin ich dann auch schon am Abnabelungsprozess angekommen, den jede Mutter mit ihrem Kind durchlebt: Sich von seiner Anhaftung lösen und das Kind im Vertrauen in die Welt entlassen. Ich habe es sehr lieb gewonnen und auch heute vermisse ich es manchmal. So geht es mir mit vielen meiner Bilder. Ich bin sehr froh dass es sie gibt und dass Menschen sich davon berühren lassen. Und so wird jeder Geburts- und Trennungsschmerz transformiert in eine Wiedergeburt aus einer neuen Sehnsucht, einer neuen Vision und einer neuen Schöpfungsgeschichte im Mikrokosmos eines Menschenlebens.
Danke dass du mich auf diesem Abenteuer begleitet hast und dir die Zeit genommen hast diese Geschichte zu lesen. Ich freue mich über einen Kommentar und bin neugierig wie andere Künstler, Musiker, Tänzer und Autoren ihren kreativen Prozess erleben. Lasse es mich gerne wissen.
Hier kannst du die Entstehung des Bildes in Lichtgeschwindigkeit beobachten ;)
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